Definitionsgemäß ist „Deprescribing“ – also das Absetzen von Arzneimitteln – ein komplexer und mehrstufiger Prozess. In der Praxis stellt sich oft die Frage, ob ein Medikament abrupt abgesetzt oder schrittweise ausgeschlichen werden sollte. Diese Frage ist nicht immer sofort und eindeutig zu beantworten. Ein Beispiel für eine häufig unnötig und/oder zu hoch dosiert verordnete Wirkstoffgruppe sind Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI). Hier kommt ein Update zum schrittweisen, kontrollierten Absetzen.
Beim „Deprescribing“ handelt es sich um das Absetzen von Arzneimitteln, die nicht mehr benötigt werden, keinen Nutzen (mehr) bringen oder potenziell unangemessen beziehungsweise schädlich sind. Ist ein solches Medikament identifiziert, kann ein strukturierter Absetzplan erarbeitet werden. Dieser überwachte, mehrstufige Prozess erfolgt idealerweise interdisziplinär, wobei Apotheker:innen einen wichtigen Beitrag in der täglichen Beratung leisten.
Manche Medikamente können problemlos abrupt abgesetzt werden, andere wiederum müssen langsam ausgeschlichen werden, um Nebenwirkungen oder Entzugserscheinungen zu verhindern. Um eine sichere Vorgehensweise zu gewährleisten, stellen Gesundheitsinstitutionen verschiedener Länder sogenannte „Deprescribing-Richtlinien“ zur Verfügung. Im Artikel geben wir ein Update zum sicheren und schrittweisen Absetzen der Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI).
Wirkmechanismus
Protonenpumpen-Inhibitoren hemmen irreversibel die Sekretion der Magensäure durch Bindung an die Protonenpumpe in den Belegzellen des Magens. Zu ihnen zählen bekannte Wirkstoffe wie Pantoprazol, Omeprazol und Esomeprazol.
Leitliniengerechte Indikationen
Viele Patient:innen nehmen PPI über lange Zeiträume und in hohen Dosen ein, ohne dass eine klare Indikation besteht. Eine Überprüfung der Vorgeschichte im Hinblick auf Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüre, gastrointestinale Blutungen, die Einnahme gastrotoxischer Medikamente (beispielsweise orale Kortikosteroide) oder frühere Symptome kann helfen, den Absetzbedarf zu beurteilen.
Eine Indikation ist laut Leitlinien nur in folgenden Fällen gegeben:
Gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD)
- Symptomatische Refluxkrankheit mit Sodbrennen und Regurgitation
- Erosive Ösophagitis oder Speiseröhrenstriktur
- Langzeittherapie nur bei schwerer erosiver Form oder nach Rückfall
- Bei unkomplizierter Refluxkrankheit: zeitlich begrenzte Therapie (vier bis acht Wochen)
Leitlinie: PPI sind Mittel der ersten Wahl bei GERD, jedoch ist eine regelmäßige Re-Evaluation erforderlich.
Merksatz: „So kurz wie möglich, so niedrig wie nötig.“
Ulkuserkrankungen (peptischer Ulkus, Duodenal- oder Magenulkus)
- Behandlung des akuten Ulkus (vier bis acht Wochen Standardtherapie)
- Rezidivprophylaxe nur bei klarer Risikosituation (zum Beispiel NSAID-Therapie, Helicobacter-pylori-Infektion)
Leitlinie: PPI fördern die Abheilung und Rezidivvermeidung, insbesondere bei gleichzeitiger Einnahme von NSAID oder ASS.
Eradikation von Helicobacter pylori
- Bestandteil der Triple- oder Quadrupeltherapie (beispielsweise PPI + Clarithromycin + Amoxicillin/Metronidazol)
- Dauer: sieben bis 14 Tage
Leitlinie: Ein PPI ist obligater Bestandteil jeder Helicobacter-pylori-Eradikationstherapie.
Prophylaxe von Ulzera und Blutungen unter Risikokonstellationen
- gleichzeitige Einnahme von NSAID, oralen Kortikosteroiden, SSRI oder Antithrombotika bei hohem Blutungsrisiko
- ältere oder multimorbide Patient:innen mit Risikofaktoren
- nach vorheriger gastrointestinaler Blutung
Leitlinie: Nur bei nachweislichem Risiko, nicht routinemäßig bei jeder Schmerztherapie.
Zollinger-Ellison-Syndrom (= pathologische Hypersekretion der Magensäure)
- langfristige, meist hochdosierte Therapie erforderlich
Häufige Off-Label- oder Fehlanwendungen
Folgende Anwendungen sind nicht leitliniengerecht und sollen vermieden beziehungsweise regelmäßig überprüft werden:
- Dauertherapie bei unspezifischem Sodbrennen ohne Diagnose
- Prophylaxe bei kurzzeitiger NSAID-Einnahme ohne Risiko
- Begleitverordnung „als Magenschutz“ ohne Indikation
- Einsatz bei funktioneller Dyspepsie ohne Helicobacter-pylori-Nachweis
- Dauerhafte Einnahme nach Klinikaufenthalt („Hospital-PPI“) ohne Re-Evaluation
Nebenwirkungen bei Langzeitanwendung
PPI werden im Allgemeinen gut vertragen, können aber bei Langzeitanwendung Nebenwirkungen verursachen. Zu den häufigeren zählen Durchfall, Kopfschmerzen und Übelkeit. Schwerwiegendere unerwünschte Wirkungen sind möglich, etwa Mangelerscheinungen (Magnesium, Vitamin B12, Eisen), ein erhöhtes Risiko für Knochenbrüche sowie Infektionen des Magen-Darm-Trakts oder der Lunge durch den erhöhten pH-Wert im Magen. Auch Nierenfunktionsstörungen wurden beschrieben.
Wann absetzen?
Laut der S2k-GERD-Leitlinie (Stand 2023) werden PPI häufig inadäquat verordnet. Bei konsequenter Umsetzung der Empfehlungen würde bei rund 90 Prozent der Patient:innen im Anschluss an die Akutbehandlung eine Bedarfstherapie ausreichen. Die Behandlung soll enden, wenn der PPI nicht mehr benötigt wird.
Das Verschwinden der GERD-Symptome nach vier bis acht Wochen sollte eine Überprüfung des Absetzens oder der Dosisreduktion veranlassen, da viele Patient:innen keine Rezidive entwickeln.
Lebensstilmaßnahmen wie Rauchstopp, Gewichtsreduktion, kleinere Mahlzeiten, das Meiden von Auslösern in der Ernährung oder das Hochlagern des Kopfendes im Bett können die Symptome verbessern und ein Absetzen erleichtern.
Werden Medikamente, die das Risiko für Magengeschwüre oder gastrointestinale Blutungen erhöhen (beispielsweise NSAID, Antithrombotika, orale Kortikosteroide, SSRI), reduziert oder die Einnahme beendet, sollte die Notwendigkeit einer PPI-Therapie von dem Arzt oder der Ärztin erneut überprüft werden.
Patient:innen mit nicht-erosiver Ösophagitis oder unspezifischen Symptomen sollten vorzugsweise mit On-Demand-PPI-Therapie statt mit Dauertherapie behandelt werden.
Eine langfristige PPI-Therapie bleibt erforderlich bei:
- gastrointestinalen Blutungen oder hohem Blutungsrisiko (beispielsweise NSAID, Antithrombotika, orale Kortikosteroide) in der Vorgeschichte
- Rezidivierender Ösophagitis oder säurebedingten Schäden (wie Barrett-Ösophagus)
- Schwerer, therapieresistenter GERD nach erfolglosen Absetzversuchen
Hier sollte stets mit der niedrigsten wirksamen Dosis weiterbehandelt werden.
Wie absetzten?
Die Organisation Primary Health Tasmania empfiehlt, die PPI-Dosis alle vier bis acht Wochen zu reduzieren.
Konkrete Empfehlungen liefert die Plattform MedStopper: Alle ein bis zwei Wochen wird empfohlen, die Dosis um 50 Prozent zu verringern. Sobald 25 Prozent der ursprünglichen Dosis erreicht sind und keine Absetzsymptome auftreten, kann die Einnahme des Präparats beendet werden.
Treten Absetzsymptome auf, sollte die Dosis wieder auf etwa 75 Prozent der zuletzt gut vertragenen Menge erhöht werden.
Rebound
Nach dem Absetzen von Protonenpumpen-Hemmern kann es zu einer Rebound-Hypersekretion kommen. Hierbei handelt es sich um eine vorübergehende Überproduktion von Magensäure, die durch erhöhte Gastrinspiegel und die Aktivierung säurebildender Zellen ausgelöst wird.
Studien zeigen, dass der Rebound-Effekt nach etwa vier Wochen Therapiedauer auftritt und wenige Tage bis mehrere Wochen anhalten kann. Ein systematisches Review zeigt, dass ein langsames Ausschleichen der Dosis erfolgreicher als das abrupte Absetzen ist. Die Symptome kehrten damit, je nach Studie, bei bis zu 64 Prozent der Patient:innen nicht mehr zurück.
