dm: Umsatz statt Patientensicherheit?


Viktoria Gamsjäger

Das Apothekerhaus in Wien. Eine graue Fassade wird von einem roten A geziert.
Kammer und Verband sind sich einig: Die Patientensicherheit darf Konzerninteressen nicht geopfert werden.TARA24

Am Rande der Präsentation seiner Umsatzzahlen kündigte der deutsche Drogeriemarkt dm erneut an, in den Online-Handel mit Arzneimitteln einzusteigen – mittelfristig auch in Österreich. Aus Sicht der Österreichischen Apothekerkammer (ÖAK) und des Apothekerverbands (ÖAV) geht es klar um die Erschließung eines neuen Absatzmarktes und die Steigerung der Konzerngewinne. Eine Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung spiele dabei keine Rolle. Sie warnen, dass die Versorgungssicherheit der Bevölkerung dadurch gefährdet sei und stellen sich daher klar gegen die Aufweichung des Apothekenvorbehalts.

„Alleine die Ankündigung des Vorhabens am Rande einer Präsentation von Unternehmenszahlen zeigt, dass es der Drogeriemarktkette primär um die Steigerung des Konzerngewinns geht. Vorschläge für eine gute Versorgung der Bevölkerung spielen in diesen Überlegungen offenbar keine Rolle. Dabei brauchen wir für unser Gesundheitssystem innovative Ansätze, die helfen, die Herausforderungen, die auf uns zukommen gut zu bewältigen: etwa niederschwellige Angebote für gesundheitliche Versorgungsleistungen wie Gesundheitstests. Genau hier kann die öffentliche Apotheke zu Effizienzsteigerungen innerhalb des Gesundheitssystems beitragen. Wie das ein Drogeriemarkt umsetzen soll, erschließt sich mir nicht“, kritisiert Thomas W. Veitschegger, Präsident des Österreichischen Apothekerverbands, das Ansinnen.

dm steigt in den Ring

„Man wolle gegen den Apothekenvorbehalt „kämpfen“ sagt der Konzern. Die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sollte aber nicht als Arena missverstanden werden, in der es einzig und allein darum geht, ausschließlich gewinnorientierte Unternehmensinteressen durchzuboxen. Als Apothekerinnen und Apotheker haben wir die Verantwortung, eine sichere, flächendeckende und umfassende Arzneimittelversorgung sicherzustellen – denn Medikamente sind keine Haarshampoos oder Kosmetika, sondern hochkomplexe Produkte, bei deren Anwendung Sicherheit eine zentrale Rolle spielt. Und die garantiert nur die öffentliche Apotheke“, so Andreas Hoyer, 1. Vizepräsident des Österreichischen Apothekerverbands (ÖAV).

Dm lockte in einer Pressemitteilung vergangene Woche mit Preisvorteilen von von 20 bis 30 Prozent gegenüber stationären Apotheken. Mehr Wettbewerb wäre eindeutig im Sinne der Verbraucher“, betonte der Vorsitzende der dm-Geschäftsführung, Harald Bauer. Eine Neuordnung des OTC-Vertriebs hätte auch volkswirtschaftlich große Relevanz, hieß es weiter.

Apothekenvorbehalt 2021 bereits bestätigt

„Schon 2021 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof den Apothekenvorbehalt bestätigt. Aus guten Gründen, an denen sich nichts geändert hat. Der Apothekenvorbehalt dient dem Gesundheits- und Konsumentenschutz – insbesondere von Kindern und Jugendlichen. Ebenso dient er als Schutzschirm gegen die missbräuchliche Verwendung von Arzneimitteln (auch rezeptfreien) und stellt die notwendige pharmazeutische Beratung sicher. Der VfGH hat das dahinterliegende öffentliche Interesse bei seinen Überlegungen ins Zentrum gestellt – einer Aufweichung des Apothekenvorbehalts, auch über die Hintertür des Online-Handels durch internationale Konzerne, ist eine klare Absage zu erteilen“, verweist Alexander Hartl, 2. Vizepräsident des Österreichischen Apothekerverbands, auf die bestehende rechtliche Lage.

Versorgungssicherheit gefährdet

Drogerien sind auf Umsatz optimiert, Apotheken auf Sicherheit, heißt es Seitens der Österreichischen Apothekerkammer (ÖAK). Eine – in welcher Form auch immer – Abweichung von diesem Apothekenvorbehalt würde lediglich internationalen Großkonzernen in die Hände spielen, heißt es weiter. Im Fokus der Unternehmen stünden nur der Verkauf weniger profitabler Produkte.

„Cherry Picking“ durch Großkonzerne würde zu Schließungen öffentlicher Apotheken und damit zu einer massiven Verschlechterung der Arzneimittelversorgung für die Bevölkerung führen. Eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung der Bevölkerung würde somit wegfallen. Eine Schwächung des Apothekennetzes wäre schlichtweg fatal, wird betont. 

Zwischenfälle bei OTC-Arzneimitteln wie Paracetamol

Besonders bei rezeptfreien Arzneimitteln ist die persönliche pharmazeutische Fachberatung von größter Bedeutung, da es vorher auch keinerlei ärztlichen Kontakt gegeben hat. Falsche Anwendung kann gesundheitsschädliche Folgen haben – von falscher Selbstdiagnose sowie inkorrekter Anwendung und Dosierung über schwere Arzneimittelwechselwirkungen bis hin zur Maskierung schwerwiegender Erkrankungen. Der Apothekenvorbehalt in Verbindung mit dem Selbstbedienungsverbot stellt hier das notwendige Korrektiv dar, da er fachlich qualifizierte Beratung und Kontrolle bei der Abgabe sicherstellt. Drogerien können eine solche qualifizierte Beratung keinesfalls leisten, weshalb eine Öffnung ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellen würde.

Die ÖAK bringt folgendes Beispiel: In zwölf weiteren EU-Staaten – darunter Belgien, Finnland, Frankreich und Spanien – unterliegen alle rezeptfreien Arzneimittel dem Apothekenvorbehalt. Studien aus Ländern mit liberalem Zugang zu OTC-Arzneimitteln zeigen, dass die Zahl unerwünschter Zwischenfälle nach Liberalisierungen deutlich ansteigt, sodass der Apothekenvorbehalt dort teilweise wieder eingeführt werden musste. In Schweden etwa verdoppelten sich nach der Freigabe von Paracetamol die Vergiftungsfälle, woraufhin der Wirkstoff wieder apothekenpflichtig erklärt wurde. In Österreich liegen sowohl der Arzneimittelkonsum als auch die Zahl unerwünschter Zwischenfälle deutlich niedriger, da Apotheken flächendeckend und in geringer Distanz verfügbar sind.

PRESSEAUSSENDUNG ÖAV/ ÖAK



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