Wo einst Kaiser und Erzherzöge residierten, liegt heute im vierten Wiener Gemeindebezirk ein wahrer Schatz verborgen: Der historische Arzneikeller der Schutzengel Apotheke. Nach nur wenigen Treppen befindet man sich in einer Welt aus pharmazeutischer Handwerkskunst, fabelhaften Apothekengeräten und einzigartigen Rezeptursubstanzen. Liebevoll geführt und kuratiert wird die zunächst wild anmutende Kuriositätensammlung von Apothekenkonzessionär Mag. Arnold Achmüller. Zwischen dem Albuminimeter zur Bestimmung des Proteingehalts im Urin, Drachmen-Eichgewichten und Standgefäßen mit Ziegenblut gewährt er in seiner Führung Einblicke in die traditionellen Arbeitsweisen der Apothekerschaft.
Nur wenige Gehminuten vom Theresianum, im 17. Jahrhundert noch Schloss Favorita genannt, und der heutigen Technischen Universität entfernt, befindet sich die Schutzengel Apotheke.
Beim Abstieg über die schmale Kellertreppe berichtet Achmüller über die Vergangenheit der Apotheke: „Damals lebte in dieser Gegend der Adel. Auch Erzherzog Leopold soll einst hier gewesen sein. Als sich Maria Theresia für Schloss Schönbrunn als Sommerresidenz entschied, überließ sie Favorita der Kirche. Diese errichtete dort eine Schule für Adelssöhne, heute unter dem Namen Theresianum bekannt.“
Adel von früher – Apotheke von heute
„Daher blickt diese Apotheke auch auf eine lange Geschichte zurück. Wir sind im selben Gebäude wie das ehemaligen Hotel Victoria untergebracht“, erzählt Achmüller.

In diesem geschichtsträchtigen Hotel wohnte sogar Johann Strauß Sohn einige Zeit.
Über die, im Jahre 1857, eröffnete Apotheke berichtet er: „In über 160 Jahren wurden hier diverse Gerätschaften, Arzneispezialitäten sowie Bücher gesammelt und unsortiert im Keller abgelegt. Als ich 2020 erstmals in die Apotheke kam, wusste ich zunächst gar nicht, dass diese Schätze existieren. Seit April dieses Jahres bieten wir auch Führungen durch unseren historischen Arzneikeller an.“
„Besonders Menschen, die bereits seit Generationen rund um die Taubstummengasse leben, erfreuen sich an der Besichtigungsmöglichkeit. Sie bekommen einen neuen Einblick in die Geschichte ihres Viertels.“
Apotheke als Alleskönner: Von Tinkturen bis Harnanalyse
Gleich im ersten von vier Räumen steht, neben Regalen voller Standgefäße, ein Perkolator. „Hier zeigen wir den Besucher:innen, was früher alles in Apotheken hergestellt wurde. Die durch den Perkolator gewonnenen Lösungen dienen etwa zur Herstellung von Tinkturen, Fluidextrakten oder Mischungen. Das ist vielen Besuchern gar nicht bewusst, deswegen mischen wir zum Beispiel auch im Rahmen der Führung ein Arnika Gel.“ Einige Tinkturen stellen wir bis heute noch selbst in der Apotheke her, berichtet er weiter.
Einst warb die Apotheke mit ihren Harn- und Trinkwasseranalysen. Dabei kamen Messgeräte wie das „Albuminimeter“ zur Bestimmung der Eiweißmenge zum Einsatz. „Der mitgebrachte Harn wurde in Eprouvetten mithilfe einer speziellen Handzentrifuge aufbereitet. Anschließend ließ sich der Albumingehalt des Harns anhand der Messstriche an der Albuminimeter-Eprouvette ablesen. Früher wurde in Apotheken auch die Trinkwasserqualität analysiert“, erklärt Achmüller über die umfangreiche Expertise des Berufsstands.
Arzneidrogen wie Chinarinde oder das Barbiturat Veronal werden bei der Führung gezeigt. „Diese Arzneimittel sind ein gutes Beispiel dafür, wie sehr die Pharmazie einem ständigen Innovations- und Veränderungsprozess unterworfen ist. Chinin spielte einst eine bedeutende Rolle als pflanzliches Fiebermittel. Heute wird es manchmal noch gegen Malaria eingesetzt, zur Fiebersenkung jedoch noch kaum.“

Besonderheiten wie Ziegenblut (lat. Sanguis Hirci) und der Farbstoff Indicum werden als Raritäten zu Anschauungszwecken in den Regalen aufbewahrt. „Das bietet einen eindrucksvollen Blick in die Vergangenheit. Manchmal lässt sich auch gar nicht mehr so genau sagen, wofür diese Stoffe verwendet wurden. Beim Ziegenblut müsste ich jetzt selbst nachlesen“, grübelt Achmüller.
Der “Pillendreher”
Im größten Raum des Kellers wird klar, warum Apothekerinnen und Apotheker auch unter dem Namen „Pillendreher“ bekannt sind.

Achmüller demonstriert auf einem Pillenbrett, wie aus der Pillen-Rohmasse zunächst kleine Rohlinge entstehen. Mit einem speziellen Aufsatz, dem sogenanntem Pillendreher, formt man diese anschließend zu fertigen Pillen.
„Für edle Herrschaften bestand dann noch die Möglichkeit eines Pillenüberzugs mit Gold-, oder Silberfolie. Hierzu wurde die Pille zum Beispiel in eine Büchse mit Blattgold gelegt und rolliert.“ Grinsend fügt er hinzu: „Die haben wir hier aber nicht mehr.“
Weltausstellung: Mit Chloroform gegen Zahnschmerzen
Ein besonders Kapitel der Apothekengeschichte zeigt sich im Regal mit den hauseigenen Spezialitäten von damals wie „Yllanoor“. „Bei der Weltausstellung 1873 in Wien präsentierte sich die Schutzengel Apotheke voller Stolz. Man bewarb Spezialitäten wie das hauseigene „Yllanoor“. Vermutlich eine Art „Zahntropfen“, die mit Chloroform, Menthol und Campher gegen Zahnschmerzen eingesetzt wurden. Auch kunstvoll angefertigte Migräne-Riechstifte gegen Kopfschmerzen sowie der Frostbalsam wurden beworben.“
Auch der Erste Weltkrieg hinterließ Spuren: Metallene Patenen mussten fürs Militär abgegeben werden und wurden durch Porzellan ersetzt. Ein solches Stück mit der Gravur „aus großer Zeit“ findet sich heute noch im Keller.Als 1875 das Gramm verbindlich als Gewichtsmaß eingeführt wurde, hatten die Apotheker:innen wohl einiges zu tun. Die Gewichtsangaben alter Rezepturen waren zuvor in Gran, Drachmen oder Skrupel erfolgt. Auch hier hilft der Arzneikeller aus: „Wir besitzen noch eine Tabelle zur Umrechnung der Einheiten, so musste nicht so viel gerechnet werden. Als Besonderheit haben wir noch die dazugehörigen originalen Eichgewichte der alten Maßeinheiten.“
Besonders am Herzen liegen Achmüller die Kräuter. Der Südtiroler gibt gemeinsam mit seiner Frau im Blog Kraut und Wurzel Einblicke in die Pflanzenheilkunde und Volksmedizin. Dort können auch die Führungen im historischen Arzneikeller gebucht werden. Diese werden abwechselnd von Achmüller oder seinen Mitarbeitern Herr Marcus Kallenda oder Frau Lena Pretz geleitet.
Darüber hinaus ist der Apotheker durch Vorträge, Fachartikel und mehrere Bücher rund um sein Kräuterwissen bekannt. Die Idee zu den Führungen entstand im Austausch mit einem Kollegen. „Das Weitergeben von Wissen liegt mir sehr am Herzen“, erzählt Achmüller. Das wird durch die sorgfältige Arbeit am Arzneikeller umso deutlicher.
