Das Klischee von Apotheken wird in mehreren Bereichen nicht mehr erfüllt. Weder sind alle Apotheker:innen verstaubte Knochen, noch verdient man sich mit dem Einlösen von Rezepten eine goldene Nase. Der Wandel bringt eine ganze Reihe junger, engagierter Apothekerinnen und Apotheker an die Ruder der Branche – die vor immer größeren wirtschaftlichen Herausforderungen stehen. Manuel Wendl ist einer von ihnen und wagt den Vorstoß, wo er von Kammer und Verband zu wenig Unterstützung bekommt: Er möchte ein Netzwerk von jungen Selbstständigen gründen.
„Es muss etwas getan werden. Und zwar jetzt“, sagt Mag. Manuel Wendl mit Nachdruck. Vor zwei Jahren hatte er die Johann-Strauß-Apotheke in 1040 Wien übernommen. Er fühlt sich in der heutigen Arbeitswelt durch alte Strukturen in keinster Weise gesehen oder unterstützt und spricht aus, was viele seiner Kolleg:innen denken: „Wir sind voller Ideen, Eifer und Zukunftsvisionen mit dem Willen zu einer echten Veränderung und werden von Beginn an mit Herausforderungen und Hürden konfrontiert, die wie ein Klotz am Bein die Ressourcen abziehen. Dabei könnten die so viel besser für ein neues, modernes Apothekenkonzept verwendet werden.“
Vielen Selbstständigen geht es wie Wendl. „Ich habe das Gefühl alleine auf weiter Flur zu kämpfen… aber wofür? Für Reform, für Vertrauen in die Apotheke-vor-Ort oder für das Überleben?“, fragt sich der Apotheker. Seine Antwort: Oft alles auf einmal. Was er häufig vermisse sei die klare Kommunikation von Standesvertretungen und Politik. „Als aktives Mitglied von Apothekerkammer und Apothekerverband erfahre ich nichts über strategisches Denken, Präsenz, Kreativität oder Zukunftsvisionen. Auf Nachfrage hört man `Wir sind am Ball´, `wir wollen dem ganzen keine mediale Präsenz geben, sondern halten uns bewusst zurück´.“
Von Interessensvertretung nicht wahrgenommen
Das ist dem Apotheker zu unkonkret und wenig schlagkräftig. „Ich frage mich: Was ist der Plan? Wieso werden wir darüber nicht informiert? Wann wollen wir in die Zukunft starten?“, wundert sich Wendl. „Man hat das Gefühl, alles ist geheim, jeder ist Konkurrenz, es geht immer um´s Geld. Sollte eine Interessensvertretung nicht Interessen vertreten? Ich fühle mich da nicht sehr wahrgenommen.“
Dabei ist der Apotheker mit seinem Betrieb – im Unterschied zu vielen Kolleginnen und Kollegen – wirtschaftlich noch recht gut unterwegs und kann in den letzten beiden Jahren auf eine erfolgreiche Betriebsentwicklung zurückblicken. Die kommt allerdings auch nicht von ungefähr. Wendl steht sechs Tage die Woche in der Apotheke, engagiert sich in seiner Freizeit für diverse soziale Projekte, stellt seinen zum Veranstaltungsraum umgebauten Apothekenkeller für gemeinnützige Organisationen zur Verfügung und hat dieses Jahr mit großem finanziellem und persönlichem Aufwand ein ganzes Grätzlfest organisiert.
Fehlende Perspektive
Was ihm fehlt, ist die Perspektive. „Ich bin überzeugt, dass wir uns nur zukunftsstark positionieren können, wenn wir als Gemeinschaft auftreten“, wünscht sich der Apotheker einen Schulterschluss der Apothekerschaft und bringt auch einige neue Ideen ins Spiel. „Der Kuchen ist groß genug für alle. Warum bilden wir zwar Einkaufsgemeinschaften, aber keine Verkaufsgemeinschaften? Stichwort: konkurrenzfähiger Online-Versandt. Warum nutzen wir nicht kollektive Erfahrungen und unser Wissen, um als Apothekerschaft einheitlich zu performen, bevor alle dieselben Fehler machen?“
Auch in anderen Bereichen sieht Wendl Veränderungspotential: „Bereits bei den Bankgesprächen für die Finanzierung ergaben sich Verzögerungen durch Auflagen. Beim Gesellschaftsvertrag waren wir in der 109. Fassung. Die Begründung: Das haben wir so noch nie gemacht“, war der engagierte Apotheker irritiert. Aber auch das tägliche Geschäft bereitet ihm – wie auch vielen anderen – Sorge. „Druck von Krankenkasse, Spannenkürzungen, Zinsbelastung und Erwartungen von Mitarbeiter:innen an ein bestimmtes Gehalt – als das belastet mich als Unternehmer“, resümiert der Inhaber. „Man motiviert nicht nur sich selbst, sondern vor allem sein Team. Auch wenn steigende Lebenserhaltungskosten alle betreffen, divergieren betriebliche Interessen mit jenen der Angestellten. Da hilft nur erklären, motivieren und selbst mit anpacken.“
Lieferschwierigkeiten als Kostenfaktor
Den aktuellen Vorstoß der Ärzteschaft, sich mehr in die Arzneimittelversorgung einbringen zu wollen, sieht er mehr als bedenklich und als Zeichen, sich noch besser aufstellen zu müssen – was aber nicht so einfach ist „Laut Ärztekammer sind wir verantwortlich für die Arzneimittelversorgung bei Lieferengpässen. Dazu gehört unter anderem eine gute Einkaufsstrategie. Zeichnen sich bevorstehende Liefereinschränkungen ab, bevorraten wir. Welche Zeitspanne wir bevorraten, richtet sich nicht immer nach dem tatsächlichen Lieferengpass, sondern was man sich aktuell leisten kann. Dürfen es drei Monate Bevorratung eines HIV-Medikaments sein? Bitteschön – und man ist um 60.000 Euro ärmer, während man dann bei der Abgabe irgendwann gerade einmal 20 Euro pro Packung verdient.“ Dieser Umstand erschüttert Wendl in seinem tiefsten Berufsverständnis: „Was sage ich den Patient:innen? Tut mir leid, ihr lebenswichtiges Medikament gibt´s grad nicht und ich kann nichts machen?“
Bei all den vielen Fragen stellt sich für Wendl vor allem eine: Wie schaffen andere Jung-Apotheker:innen diesen Spagat? „Das letzte, was man seinen Kund:innen und Patient:innen oder sich selbst sagen möchte ist, dass man es nicht schafft. Man zeigt sich stark und findet doch immer eine Lösung, einen Kompromiss oder einen Ersatz. Notfalls auch über kreative Wege und die Landesgrenzen hinaus.“ Das bedeutet für ihn maximalen Aufwand im Sinne der Arzneimittelversorgung. „Meine Apotheke ist mittlerweile mein Lebensmittelpunkt“, erklärt der Inhaber, „weil er es sein muss, weil ich es gerne mache und weil ich einen verständnisvollen Partner und das beste Team der Welt hinter mir habe.“
Gemeinsam stark statt in Einsamkeit sterben
Für ihn sei es wichtig, dass Menschen, die absolut nichts dafürkönnen und durch diesen unendlichen Bürokratie-Jungel selbst niemals durchfinden würden (Stichwort Bewilligungen) am Ende des Tages ihr Medikament bei ihm in der Apotheke bekommen. „Das schafft kein Online-Versand und kein Drogeriemarkt“, ist Wendl überzeugt. „Das positioniert uns zukunftsstark. Wir bieten ein weites Feld voller Angebote, Dienstleistungen und Produkte, die „die Apotheke der Zukunft“ zu einem Gesundheitszentrum und nicht zu einem Ort der Krankheit macht. Diese Verfügbarkeit von sozialer und fachlicher Kompetenz, rund um die Uhr, österreichweit muss entsprechend honoriert werden.“
Daher möchte Wendl gerne ein Netzwerk starten. „Es sind alle willkommen, die so wie ich an einer selbstbestimmten Zukunft arbeiten wollen.“ Wendl wünscht sich einen kollegialen Vernetzung über Bundeslandgrenzen hinweg. Wie dies genau aussehen könnte, wird sich ergeben. Geplant sind jedenfalls regelmäßige Treffen in Videokonferenzen, um sich auszutauschen, Erfahrungen zu teilen und Kolleg:innen auch an Lösungswegen teilhaben zu lassen. Und letztendlich auch, um zu sehen, dass man mit seinen Nöten und seinem Leid nicht alleine ist. „Der Zusammenschluss soll ein Geben und Nehmen sein“, betont der Apotheker. „Die Zeiten des Egoismus sind vorbei. Ich bin fest überzeugt davon, dass wir nur gemeinsam vorankommen. In Einsamkeit sterben ist die falsche Taktik.“