Auf den ersten Blick sind manche Entscheidungen kaum nachvollziehbar. Was veranlasst jemanden dazu, einen Studienabschluss zu fälschen? Warum wird so ein hohes Risiko eingegangen? TARA24 versucht mit Hilfe einer Psychologin, dieses Thema zu beleuchten. Sie rät: Man solle keine voreiligen Schlüsse ziehen und es sei wichtig, die Tat selbst von dem Charakter der Person zu trennen. Ein unrechtmäßiger Zugang ändert nichts daran, wenn menschlich Wertvolles geleistet wurde.
Ein aktueller Fall wirft Fragen auf, die über das individuelle Fehlverhalten hinausgehen. Wie vor kurzem bekannt wurde, war eine Person jahrelang als Apotheker tätig, ohne über einen gültigen Studienabschluss zu verfügen. Doch anstatt sich im Hintergrund zu halten, zeigte er gesellschaftliches Engagement und trat öffentlich in Erscheinung.
Ein Einzelfall? Keineswegs. Ähnliche Fälle sind bekannt. Etwa von sogenannten „falschen Ärzten“ oder „falschen Lehrern“, die zum Teil über Jahre hinweg unerkannt arbeiteten. Viele fragen sich: Was treibt solche Menschen an?
Auch wenn die Aufdeckung Empörung auslöst, bleibt die Frage nach der moralischen Einordnung vielschichtig. Handelt es sich um eine bewusste Täuschung oder um eine Person, die sich eine neue Wirklichkeit geschaffen hat, vielleicht sogar, um zu überleben? „Das ist ohne eine tiefere psychologische Analyse kaum zu beantworten“, betont die Psychologin.
„Nicht jede Fälschung ist ein geplanter Betrug im klassischen Sinn“, führt sie weiter aus. „Dieses Verhalten resultiert aus dem Ziel einer Identitätskonstruktion. Menschen entfliehen einem als unzulänglich empfundenen Selbstbild und suchen Anerkennung in einer konstruierten Rolle.“ Die Grenze zwischen bewusster Manipulation und psychischer Notlage sei fließend.
In Deutschland kam es in den 1990ern zu einem besonders aufsehenerregenden Fall. Dort arbeitete ein „falscher Psychiater“ jahrelang in psychiatrischen Kliniken. Der Betrug blieb lange Zeit unentdeckt, da er sich intensiv in die Fachsprache und Abläufe der Psychiatrie eingearbeitet hatte und durch sicheres Auftreten überzeugte. Berichte sprachen von hoher Intelligenz, rhetorischem Talent und einem ausgeprägten Bedürfnis nach Anerkennung.
Die Tat vom Menschen trennen
„Personen, die sich in falsche Rollen begeben, sind oft überzeugt, diese Aufgaben tatsächlich erfüllen zu können. Sie unterschätzen die Risiken und überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten“, erklärt die Psychologin. Bei ähnlichen Fällen wurden in der Vergangenheit narzisstische Persönlichkeitsmerkmale diskutiert. Gekennzeichnet sind diese durch ein übersteigertes Bedürfnis nach Bewunderung und sozialem Status, der mit dem jeweiligen Beruf verbunden ist.
„Natürlich wirken solche Enthüllungen auf den ersten Blick skandalös. Dennoch sollte die Tat vom Menschen dahinter getrennt betrachtet werden. Vielleicht ging es in dem Moment schlicht darum, die eigene Existenz abzusichern. Ohne gezielte Absichten gegen andere Menschen“, heißt es seitens der Psychologin. „Wichtig ist aber: Nicht alles menschlich Wertvolle verliert seinen Wert, nur weil der Einstieg unrechtmäßig war.“ Man solle sich besser auf die Missstände konzentrieren und versuchen, Lücken an den verantwortlichen Schnittstellen zu schließen, rät sie.
Zwischen Kompensation und Konstruktion
Betrug bedeutet juristisch das vorsätzliche Vortäuschen falscher oder das Unterdrücken wahrer Tatsachen mit dem Ziel, einen Vorteil zu erlangen. „Was oft mit Ehrgeiz beginnt, kann in Täuschung enden. Die Übergänge sind häufig fließend“, erläutert die Psychologin.
In vergleichbaren Fällen wird von einem stark ausgeprägten Aktivitätsdrang oder übersteigertem Geltungsbedürfnis berichtet. Ruhelosigkeit und überdurchschnittliches Engagement: Solche Muster können Ausdruck eines inneren Spannungszustands sein. Psychologisch betrachtet, kann ein solcher Leistungsdrang ein Ausdruck von Kompensation sein: „Leistung wird dann zur Strategie, um innere Zweifel oder Schuldgefühle zu überdecken“, erklärt die Psychologin.
Zwischen Verantwortung und Verstrickung
Wichtig sei es, die Würde der betroffenen Person zu schützen: „In solchen Fällen ist Zurückhaltung geboten. Ein Laie vermag die psychologischen Hintergründe nicht einfach so zu durchschauen. Es ist wichtig, wilde Spekulationen zu unterlassen. Solche Situationen haben immer eine gewisse Dynamik. Es gibt nicht immer eine klare Unterteilung in Täter und Opfer.“ Rechtlich und fachlich wird die betroffene Person ohnehin Konsequenzen zu tragen haben. „Es reicht, das Vergehen juristisch zu beurteilen. Eine öffentliche Bloßstellung der Person ist nicht hilfreich“, erklärt sie abschließend.