Bessere Lebensqualität, größere Überlebenschancen: Das versprach eine kontrovers diskutierte Studie zu Globuli bei Lungenkrebs aus dem Jahr 2020. Nun wurde sie endgültig zurückgezogen.
Homöopathische Mittel wirken nach wissenschaftlichem Konsens nicht über den Placeboeffekt hinaus. Es gibt keinen nachgewiesenen Wirkstoffgehalt in Globuli, Dilutionen oder ähnlichen Präparaten, und es existiert kein belastbarer Evidenznachweis für eine Wirksamkeit bei Krankheiten.
Studie untersucht Zusatztherapie bei Lungenkrebs
Wissenschaftler:innen um Hauptautor Michael Frass, der viele Jahre die Intensivstation der Klinik für Innere Medizin der Med-Uni Wien leitete, prüften in der 2020 erschienenen multizentrischen Studie, ob eine zusätzlich zur konventionellen onkologischen Behandlung eingesetzte individualisierte homöopathische Therapie Lebensqualität und Überleben der Patient:innen beeinflussen kann.
Die Forschung fand an mehreren Kliniken in Österreich statt, darunter im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien, der Klinik Floridsdorf in Wien, dem Krankenhaus Lienz und dem Elisabethinenspital in Linz. Die Wissenschaftler:innen begründeten den Forschungsbedarf seinerzeit damit, dass Homöopathie Nebenwirkungen der konventionellen Therapie lindern könnte.
Verschüttelung, Placebo und Kontrollgruppe
Die Studie war prospektiv, randomisiert, placebokontrolliert und doppelblind, ergänzt um eine unbehandelte Kontrollgruppe. Insgesamt nahmen 150–160 Patient:innen teil: 51 in der Homöopathiegruppe, 47 in der Placebogruppe und 52 in der Kontrollgruppe.
Ein Drittel erhielt individuell ausgewählte Q-Potenzen, nach homöopathischer Praxis mehrfach im Verhältnis 1:50.000 potenziert. Die Placebogruppe bekam äußerlich identische Präparate ohne Wirkstoff, die Kontrollgruppe keine homöopathische Zusatztherapie. Alle Patient:innen wurden über zwei Jahre regelmäßig hinsichtlich Lebensqualität und Überleben dokumentiert.
Berichtete Ergebnisse
Die Studie berichtete, dass Lebensqualität und Symptomskalen in der Homöopathiegruppe signifikant besser ausfielen als unter Placebo, und dass sich diese Gruppe im zeitlichen Verlauf kontinuierlich verbesserte, während die Placebogruppe sich verschlechterte.
Die mediane Überlebenszeit betrug 435 Tage in der Homöopathiegruppe, 257 Tage unter Placebo und 228 Tage in der Kontrollgruppe. Die Zwei-Jahres-Überlebensrate lag bei 45,1 Prozent, 23,4 Prozent bzw. 13,5 Prozent. Die Autor:innen folgerten, dass Homöopathie Lebensqualität und Überleben positiv beeinflusse.
Kritik an Durchführung und Daten
Bereits 2021 meldeten das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) und die Initiative wissenschaftliche Medizin (IWM) Zweifel an der Methodik. 2022 legte die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) ein Gutachten vor, das nachträgliche Änderungen am Studiendesign, Unstimmigkeiten bei Patient:innenzahlen, selektives Löschen von Datensätzen, unplausible Überlebensdaten und weitere schwerwiegende Mängel beanstandete. Auch die Doppelblind-Angaben und die berichtete Verbesserung der Lebensqualität erschienen ungewöhnlich hoch.
Autor:innen wiesen Vorwürfe teilweise zurück
Am 24. Oktober 2022 veröffentlichte das Homeopathy Research Institute (HRI) eine Stellungnahme: „Es ist wesentlich, dass den Autoren ein formelles Recht auf Erwiderung auf die gegen sie erhobenen Anschuldigungen eingeräumt wird.“ Am 6. Dezember 2022 veröffentlichten die Autor:innen über WissHom eine eigene Stellungnahme: „Die Vorwürfe der ÖAWI gegen unsere Studie weisen wir entschieden zurück. Die Daten wurden jederzeit transparent dokumentiert und geprüft.“ Teile der Autor:innen widersprachen später der Rücknahme, andere gaben keine Stellungnahme ab.
Rücknahme der Publikation
Am 24. November 2025 zog das Journal The Oncologist die Publikation endgültig zurück. In der Retraction Notice heißt es: „Die Herausgeber des Journals haben festgestellt, dass den in diesem Artikel berichteten Ergebnissen und Schlussfolgerungen nicht mehr vertraut werden kann.“
Die Publikation war damit fünf Jahre Bestandteil der wissenschaftlichen Literatur, bevor sie endgültig zurückgezogen wurde, nach mehreren Jahren von Kritik, Untersuchungen durch die ÖAWI und Stellungnahmen der Autor:innen.
Unabhängig von der Meinung der Autor:innen gelten die berichteten positiven Effekte auf Lebensqualität und Überleben heute nicht mehr als belastbare wissenschaftliche Erkenntnis. Eine offizielle Stellungnahme der Medizinischen Universität Wien, die die Ergebnisse bestätigt, liegt bislang nicht vor.
