Der richtige Umgang mit Arzneistoffen ist von enormer Bedeutung für unsere Umwelt. Der Fall von Diclofenac in der Nahrungskette von Geiern zeigt: Arzneimittel können tief in natürliche Kreisläufe eingreifen – oft mit kaum absehbaren Folgen. Ebenso wichtig ist eine korrekte Entsorgung von Arzneistoffen. Derzeit verschmutzen weltweit über 900 verschiedene pharmazeutische Substanzen den Wasserkreislauf. Eine kürzlich erschienene Studie hat sich nun mit den Auswirkungen dieser Arzneimittelrückstände in Flüssen und dem Wanderverhalten des Atlantischen Lachses beschäftigt. Besonderes Augenmerk galt den häufig in Flüssen nachgewiesenen Wirkstoffen Clobazam, ein bei Angststörungen verschriebenes Benzodiazepin, und dem Opioid-Schmerzmittel Tramadol.
Das Verschwinden der Aasfresser durch Diclofenac-Rückstände in der Nahrung hatte weitreichende ökologische Folgen: Liegengebliebene Kadaver führten zu Krankheiten und verschmutzten das Grundwasser. Ebenso beeinflusst der Mensch durch seine unbedachte Entsorgung von Arzneimitteln das Verhalten zahlreicher Spezies.
Der Rückgang der Atlantischen Lachse wird vor allem auf Überfischung, Lebensraumverlust und Flussverbauungen zurückgeführt. Eine Studie zeigt jedoch, dass auch Arzneimittelrückstände einen Einfluss auf Verhalten und Überleben der Fische haben könnten.
In dieser Feldstudie untersuchte ein internationales Forscherteam, wie Umweltverschmutzung durch Arzneimittel das Verhalten und die Wanderung des Atlantischen Lachses beeinflusst. Im Fokus standen die Wirkstoffe Clobazam und Tramadol, die weltweit in Flüssen nachgewiesen werden. Dazu erhielten die Fische ein Implantat, das ihnen kontinuierlich ein Placebo, Clobazam, Tramadol oder eine Mischung aus beiden verabreichte. Die Konzentrationen entsprachen den bereits in der Umwelt beobachteten. Das Wanderverhalten der Fische wurde dann mithilfe von Trackern verfolgt. Dadurch konnten die Auswirkungen von Arzneimittelrückständen unter realen Umweltbedingungen erfasst werden.
Clobazam: gesteigertes Wanderungsverhalten
Von besonderem Interesse sind Substanzen wie Antidepressiva oder Schmerzmittel. Diese können, den Studienautoren zufolge, signifikant die Gehirnfunktion von Fischen und somit das Verhalten von Wildtieren beeinflussen.
Umweltübliche Konzentrationen von Clobazam steigerten den Wanderungserfolg von jungen Lachsen beim Übergang vom Fluss ins Meer. Die Fische passierten zudem schneller zwei Wasserkraftdämme, die ihre Migration normalerweise erheblich verzögern. Auch zahlenmäßig erreichten die meisten Tiere dieser Gruppe das offene Meer. Dies könnte auf eine gesteigerte Risikobereitschaft und ein verstärktes Loslösen aus dem Schwarmverband zurückzuführen sein. Bei Fischen, die nur Tramadol ausgesetzt wurden, konnte hingegen kein signifikanter Effekt auf die Schnelligkeit festgestellt werden.
Auch in späteren Laboruntersuchungen zeigte sich: Clobazam verändert das Schwarmverhalten der Fische. Es kommt vermeintlich zu einer Beeinflussung der sozialen Dynamik und des Risikoverhaltens.
Doch der vielleicht zunächst als positiv bewertete Effekt kann unvorhersehbare Konsequenzen haben: Die Forscher betonen, dass der gesteigerte Wanderungserfolg zunächst positiv erscheinen mag, jede Veränderung des natürlichen Verhaltens eines Tiers jedoch weitreichende negative Folgen für die Art selbst und das gesamte Ökosystem haben kann. Die Vollständigen Auswirkungen auf komplexe Ökosysteme sind schwer vorherzusagen, da verschiedene Arten und Substanzen im Zusammenspiel wirken.
Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht und unterstreicht die Bedeutung, den Einfluss von Arzneimittelrückständen auf Wildtiere und Ökosysteme ernst zu nehmen und aktiv an Maßnahmen zur Reduktion dieser Belastungen zu arbeiten.