Mit der ständig wachsenden Zahl der Betroffenen von Übergewicht und Adipositas weltweit stehen Abnehmmedikamente hoch im Kurs. Ein neues Prinzip wurde vor kurzem beim Europäischen Adipositas-Kongress in Malaga in Spanien vorgestellt: ein Medikament, das eine Magen-Bypassoperation imitiert und die Nährstoffaufnahme hemmt. Es wird einmal täglich oral eingenommen.
“Eine erste klinische Studie mit Probanden zu einem einmal täglich einzunehmenden Medikament zum Schlucken (SYNT-101) gegen Adipositas zeigte positive vorläufige Daten zur sicheren und effektiven Umleitung der Nährstoffaufnahme in den unteren Darm. Das ist der Mechanismus für den Gewichtsverlust und das Stoffwechsel-Management bei Magen-Bypass-Operationen”, schrieb die Europäische Vereinigung zur Erforschung von Adipositas anlässlich ihres Jahreskongresses (ECO).
Derzeit sind die sogenannten GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid (Wegovy) und ähnliche Wirkstoffe, ursprünglich aus der Diabetologie, der große Renner, wenn es um Arzneimittel zum Abnehmen geht. Doch einerseits sind ihre Effekte in der täglichen Routine oft nicht ganz so gut wie in den klinischen Studien, andererseits haben sie auch Nebenwirkungen. Besonders Übelkeit und Erbrechen tauchen oft auf. Ein Bedarf nach alternativen scheint gegeben.
Nährstoffaufnahme im Dünndarm vermindert
“Viele Medikamente gegen Adipositas, wie GLP-1-Rezeptoragonisten, unterstützen zwar die Gewichtsabnahme, doch dabei auftretender Muskelschwund bleibt ein häufiges Problem. Außerdem gibt es anhaltende Probleme mit diesen Medikamenten hinsichtlich der Verfügbarkeit, gastrointestinaler Nebenwirkungen und der Langzeitanwendung”, hieß es in der Presseaussendung der Adipositas-Forscher.
US-Wissenschafterinnen und -Wissenschafter rund um das Pharma-Unternehmen Syntis Bio wollen mit dem Wirkstoff SYNT-101 in Tablettenform zur einmal täglichen Einnahme auf dem Weg zu einer neuen Behandlungsform von Adipositas sein. “SYNT-101 ahmt die Wirkung eines Magen-Bypasses nach, indem es im Zwölffingerdarm eine temporäre Polydopamin-Schicht bildet und so die Nährstoffzufuhr in den unteren Darmbereich verlagert, um auf natürliche Weise das Sättigungsgefühl zu fördern und das Stoffwechselgleichgewicht zu unterstützen.
Darüber hinaus verbessert dieser “Duodenal Nutrient Exclusion”-Effekt das Sättigungsgefühl und die Stoffwechselregulation und trägt nachweislich dazu bei, die Muskelmasse im Vergleich zu GLP-1-Medikamenten besser zu erhalten. Die Polydopamin-Auskleidung wirkt bis zu 24 Stunden lang und wird danach auf natürliche Weise aus dem Körper ausgeschieden.
Ein Prozent Gewichtsverlust pro Woche im Tiermodell
In präklinischen Studien zeigte SYNT-101 vielversprechende Auswirkungen auf die Blutzuckerkontrolle und führte bei Nagetiermodellen über sechs Wochen zu einem Gewichtsverlust von einem Prozent pro Woche, während hundert Prozent der Muskelmasse erhalten blieben. Insgesamt kam es zu einem Gewichtsverlust von 6,1 Prozent bei den Versuchstieren. Die Kalorienaufnahme war um zehn Prozent reduziert, der Nüchternblutzuckerwert um acht Prozent.
Der Wirkstoff ist ein sogenanntes Polydopamin. Es handelt sich um einen Eiweißstoff, den Muscheln verwenden, um sich an Oberflächen anzuheften. Als Medikament bildet das Polydopamin eine Schicht auf der Dünndarmschleimhaut. Das blockiert die Aufnahme von Nährstoffen.
Keine schweren Nebenwirkungen
In der in Malaga präsentierten Pilotstudie am Menschen erhielten neun gesunde Teilnehmer (zwei Männer, sieben Frauen, im Alter von 24 bis 53 Jahren mit einem BMI zwischen 19 und 29) eine Einzeldosis SYNT-101 in flüssiger Form. Zwei Teilnehmer erhielten 25 Prozent der Zieldosis, drei Probanden 50 Prozent und vier die volle Zieldosis.
Die Forscher führten Sicherheitsbewertungen und orale Glukosetoleranztests durch, um die Verträglichkeit und Wirksamkeit von SYNT-101 zu bewerten, sowie eine endoskopische Bildgebung, um zu überprüfen, ob der obere Teil des Dünndarms vollständig mit der temporären Polydopamin-Auskleidung überzogen war. Vor und nach der Behandlung mit SYNT-101 wurden Blutuntersuchungen durchgeführt, um die Auswirkungen auf das Sättigungsgefühl und den Stoffwechselhormonspiegel zu untersuchen, darunter Leberenzyme, Leptin (ein appetitanregendes Hormon) und Ghrelin (ein Hungerhormon).
“Endoskopische Aufnahmen bestätigten, dass sich die Polymerbeschichtung wie erwartet im oberen Dünndarm bildete, und Gewebeproben zeigten, dass SYNT-101 innerhalb von 24 Stunden nach der Verabreichung sicher ausgeschieden wurde. In keiner Dosierungsgruppe wurden unerwünschte oder schwerwiegende Nebenwirkungen berichtet”, hieß es bei dem Kongress.
Große Studien noch ausständig
Echte Wirksamkeitsstudien müssen viel größer und mit Vergleichs-medikamenten oder Placebo kombiniert werden. Doch zumindest einen Hinweis auf die Machbarkeit des Prinzips gab es. So erhielten die Probanden kontrolliert Zucker in einem Toleranztest.
“Wichtig ist, dass Glukosetoleranztests eine verzögerte Zuckeraufnahme nach der Behandlung mit SYNT-101 zeigten. Nach 30 und 60 Minuten war die Glukoseaufnahme deutlich geringer als bei unbehandelten Patienten, nämlich um etwa 35 Prozent bzw. 21 Prozent. Diese Verzögerung deutet darauf hin, dass die Resorption erwartungsgemäß später im Darm und nicht im beschichteten Bereich des Zwölffingerdarms erfolgt”, wurde in der Aussendung dargestellt. Erhöhte Werte an dem Hormon Leptin im Blut und niedrigere Ghrelinkonzentrationen bei den Probanden deuteten auf eine verringerte Nahrungsaufnahme hin.
Die Autoren wiesen darauf hin, dass umfangreichere Studien erforderlich sind, um die Wirksamkeit und Sicherheit des Medikaments umfassend zu beurteilen. Syntis Bio plant, im zweiten Halbjahr 2025 einen Antrag auf Zulassung eines neuen Prüfpräparats (IND) bei der US-Arzneimittelbehörde FDA einzureichen. Dann könnten größere Studien mit Probanden beginnen.
Rahul Dhanda, Geschäftsführer des in Boston ansässigen Biotech-Unternehmens fügte hinzu: “Wir können es kaum erwarten, diese Daten in unserer bevorstehenden klinischen Studie der Phase I zu replizieren und die Fähigkeit von SYNT-101 weiter zu erforschen, eine nachhaltige, sichere und wirksame Gewichtsabnahme zu erzielen, indem es Fett reduziert, Muskelmasse erhält und die natürliche Produktion von Sättigungshormonen anregt, um eine erneute Gewichtszunahme zu verhindern.”
APA