Seit mehr als 200 Jahren angewendet, jetzt erstmals auch wissenschaftlich bewiesen: Ein Wirkstoff aus dem rotem Fingerhut hilft bei Herzschwäche. Das bestätigten Forscher in zehnjähriger Arbeit an einer klinischen Studie mit mehr als 1200 Patienten, bei der sie den Wirkstoff auf seine Sicherheit und Wirksamkeit hin untersuchten, wie die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) berichtete.
Seit mehr als 200 Jahren wird der Wirkstoff aus den Blättern des roten Fingerhuts – Digitalis purpurea – zur Behandlung der Herzschwäche eingesetzt. Der enthaltene Stoff Digitoxin zählt zur Wirkstoffgruppe der Herzglykoside. Jetzt konnten die Forscher demnach auch wissenschaftlich einwandfrei nachweisen, dass Digitoxin einen deutlich positiven Effekt bei einer Herzschwäche aufgrund einer verminderten Pumpfunktion und einer unzureichenden Entleerung der linken Herzkammer hat.
Der Wirkmechanismus der Herzglykoside ist jedoch schon lange bekannt: Digitoxin hemmt die Natrium-Kalium-ATPase in den Herzmuskelzellen. Dadurch steigt die intrazelluläre Natriumkonzentration, was über den Natrium-Calcium-Austauscher zu einer vermehrten Anreicherung von Calciumionen in den Kardiomyozyten führt. Das Ergebnis ist eine positiv inotrope Wirkung – also eine Steigerung der Kontraktionskraft des Herzmuskels. Gleichzeitig bewirkt Digitoxin eine negativ chronotrope Wirkung (Senkung der Herzfrequenz) durch verstärkten Vagotonus sowie eine negativ dromotrope Wirkung (Verlangsamung der Erregungsleitung im AV-Knoten).
Erstmals „evidence-based“ Wirknachweis
Laut der multizentrischen Studie verringert eine Zusatztherapie mit Digitoxin bei Patientinnen und Patienten mit solch einer fortgeschrittenen Erkrankung die Sterblichkeit und die Zahl der Krankenhausaufenthalte. Die Ergebnisse wurden in der medizinischen Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht.
„In der DIGIT-HF-Studie haben wir Patientinnen und Patienten untersucht, bei denen die üblichen Therapien ausgereizt sind“, sagt Professor Bauersachs in einer Aussendung der Medizinischen Hochschule Hannover. „Dass wir bei diesen sehr gut vorbehandelten Studienteilnehmenden mit der Digitoxin-Zusatzbehandlung eine so deutliche Verbesserung erzielen konnten, hat uns selbst überrascht.“
„Richtig dosiert ist Digitoxin eine sichere Therapie bei Herzinsuffizienz und eignet sich auch zur Frequenzkontrolle bei Vorhofflimmern, wenn Beta-Blocker allein nicht ausreichen“, betont Studienarzt Professor Bavendiek.
Digitoxin gilt heute nicht mehr als Therapie der ersten Wahl, sondern wird vor allem als Zusatz- oder Reservemedikament eingesetzt, wenn moderne Standardtherapien bei Herzschwäche oder bestimmten Rhythmusstörungen nicht ausreichen oder nicht vertragen werden. Bisher ging man davon aus, dass Digitalisglykoside in der Therapie der Herzinsuffizienz keinen lebensverlängernden Effekt haben. Bekannt war jedoch, dass sie wesentlich zur Verbesserung der Symptomatik beitragen und die Rate an Hospitalisierungen signifikant senken.
Digitoxin: Auch bei schlechter Nierenfunktion
In der Presseaussendung der MHH wird betont, dass klinische Studien bislang überwiegend mit dem Herzglykosid Digoxin durchgeführt. Da Digoxin jedoch fast ausschließlich renal eliminiert wird, ist sein Einsatz bei eingeschränkter Nierenfunktion – wie sie bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz häufig vorkommt – limitiert. Digitoxin unterscheidet sich in diesem Punkt deutlich: Bei eingeschränkter Nierenfunktion erfolgt die Elimination vermehrt über Leber und Darm, wodurch es auch für Patienten mit Niereninsuffizienz eine gut einsetzbare Therapieoption darstellt.
APAMED/MHH