Nicht nur Antibiotika killen die Darmflora


Astrid Janovsky

Blau eingefärbte Darmzotten in hoher Auflösung
Neu entdeckt: Es gibt viele Wirkstoffgruppen, die das Darmmikrobiom beeinflussen.TopMicrobialStock/AdobeStock_697020044

Die Mikrobiomforschung hat in den letzten Jahren einen echten Boom erlebt. Dabei wusste schon Hippokrates, dass alle Krankheit ihren Ursprung im Darm hat. Vielleicht ist das Statement etwas zu allgemein, dafür kann eine andere Aussage künftig breiter gefasst werden, als bisher: Denn nicht nur die dafür bekannten Antibiotika schädigen die Darmflora. Es gibt noch eine ganze Menge mehr Wirkstoffe, die die kommensale, also natürliche Besiedelung des Darms stören und dafür Problemkeimen wie etwa Durchfallerregern Platz machen.

Eine neue Studie zeigt: Viele Medikamente, die Ihre Wirkung nur im Körper (also nach der Resorption im Darm) entfalten sollen, können das Mikrobiom verändern. Das ermöglicht Krankheitserreger ein leichteres Wachstum im Darm wachsen und begünstigt dadurch Infektionen. Die Studie unter der Leitung von Professorin Lisa Maier vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin und dem Exzellenzcluster „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen“ (CMFI) der Universität Tübingen wurde im Fachjournal Nature veröffentlicht.

Die Forschenden untersuchten 53 gängige Nicht-Antibiotika, darunter Allergiemittel, Antidepressiva oder Hormonpräparate. Ihre Wirkung wurde im Labor an verschiedenen Bakterienkulturen getestet. Das Ergebnis: Rund ein Drittel dieser Wirkstoffe förderte das Wachstum von Salmonellen und begünstigt damit das Entstehe von Durchfallerkrankungen. Lisa Maier, Erstautorin der Studie, dazu: „Dieses Ausmaß war vollkommen unerwartet. Viele dieser nicht-antibiotischen Medikamente hemmen nützliche Darmbakterien, während krankmachende Keime wie Salmonella Typhimurium unempfindlich sind. So entsteht im Mikrobiom ein Ungleichgewicht, durch das Krankheitserreger im Vorteil sind.“

In vivo bei Mäusen beobachtet

Ein ähnlicher Effekt konnte bei Mäusen beobachtet werden. Auch hier führten bestimmte Medikamente zu einer stärkeren Vermehrung von Salmonellen. In Folge kam es zu schwereren Verläufen von Salmonellose, gekennzeichnet durch einen schnellen Krankheitsausbruch und starke Entzündungen. Der Wirkmechanismus sei vielschichtig, berichten die Studienleiter:innen: Die Medikamente senkten die Gesamtbiomasse der Darmflora, störten die Diversität oder beseitigten jene Bakterien, die normalerweise mit den Krankheitserregern um Nährstoffe konkurrieren. Dadurch würden natürliche Konkurrenten krankmachender Keime (wie Salmonella) verschwinden, die sich dann ungehindert vermehren können.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass bei der Einnahme von Medikamenten nicht nur die gewünschte therapeutische Wirkung im Auge behalten werden muss, sondern auch der Einfluss auf das Mikrobiom“, sagt Grießhammer. „Die Einnahme von Medikamenten ist häufig unvermeidbar. Aber selbst Wirkstoffe mit vermeintlich wenigen Nebenwirkungen können im Darm sozusagen die mikrobielle Schutzmauer zum Einsturz bringen.“ Und Maier ergänzt: „Es ist bekannt, dass Antibiotika die Darmflora stören können. Nun haben wir starke Hinweise, dass auch viele andere Medikamente diese natürliche Schutzbarriere unbemerkt schädigen. Das kann für geschwächte oder ältere Menschen gefährlich werden.“

Antihistaminika, Antipsychotika und SERMs beachten

Die Forschenden empfehlen, dass die Wirkung von Medikamenten auf das Mikrobiom bei der Entwicklung systematisch mituntersucht werden sollte – insbesondere bei Medikamentenklassen wie Antihistaminika, Antipsychotika oder selektiven Östrogen-Rezeptormodulatoren (SERM) und die Kombination mehrerer Medikamente. Die Forschenden entwickelten ein Hochdurchsatzverfahren, mit dem sich schnell und zuverlässig testen lässt, wie Medikamente die Widerstandsfähigkeit des Mikrobioms unter Standardbedingungen beeinflussen. Dieses großangelegte Screening soll helfen, Risiken frühzeitig zu erkennen und Therapien anzupassen.

Diese Erkenntnisse erfordern ein Umdenken in der Arzneimittelforschung: Medikamente sollten künftig nicht nur pharmakologisch, sondern auch mikrobiologisch bewertet werden. „Wer das Mikrobiom stört, öffnet Krankheitserregern Tür und Tor – es ist integraler Bestandteil unserer Gesundheit und muss als solches in der Medizin betrachtet werden“, betont Maier. Rektorin Karla Pollmann unterstreicht: „Die Mikrobiomforschung in Tübingen hat hier einen wichtigen Erkenntnisgewinn vorzuweisen. Wenn bei der Entwicklung von Arzneimitteln die Wirkung auf das Mikrobiom einbezogen wird, besteht die Hoffnung, dass Patientinnen und Patienten langfristig passendere Therapien mit reduzierten Nebenwirkungen erhalten können.“

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