Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Medizinischen Universität Wien (MedUni Wien) konnte erstmals zeigen, dass das Schilddrüsenhormon T3 eine treibende Rolle bei der Entwicklung und dem Fortschreiten von Prostatakrebs spielt. Durch Blockade eines bestimmten Schilddrüsenhormon-Rezeptors konnte sowohl in Tiermodellen als auch in Tumorzellkulturen das Krebswachstum gehemmt werden. Damit liefern die aktuell publizierten Studienergebnisse einen neuen Ansatzpunkt für die Therapie von Prostatatumoren, besonders in einer Phase, in der aktuelle Methoden versagen.
Im Zentrum der Untersuchung des Forschungsteams der MedUni Wien stand die Rolle des Schilddrüsenhormon-Rezeptors TRβ (Thyroid-Hormon-Rezeptor Beta) bei der Tumorentwicklung. In Laborversuchen führte die Aktivierung des Schilddrüsenhormons Triiodthyronin (T3) zu einer starken Vermehrung von Prostatakrebszellen. Wurde TRβ dagegen mit NH-3, einem derzeit nur in der Forschung eingesetzten Wirkstoff zur gezielten Blockierung von TRβ, gehemmt, nahm das Wachstum der Krebszellen deutlich ab.
Tumore unter TRβ-Blockade kleiner
In Tiermodellen ließ sich dieser Effekt bestätigen: Tumore, die unter Einfluss von NH-3 behandelt wurden, blieben kleiner oder entwickelten sich deutlich langsamer. Besonders wirksam zeigte sich NH-3 in Modellen für sogenannten kastrationsresistenten Prostatakrebs – einer Form, die trotz Hormonentzugstherapie weiterwächst und derzeit schwer behandelbar ist. Die Blockade von TRβ führte zudem zu einer Abschwächung des sogenannten Androgenrezeptor-Signals, das normalerweise durch männliche Geschlechtshormone aktiviert wird und eine zentrale Rolle beim Fortschreiten der Erkrankung spielt.
Daten aus Patientenkohorten untermauern diese Ergebnisse: In Gewebeproben zeigte sich eine erhöhte Menge von TRβ in Prostatatumoren im Vergleich zu gesundem Gewebe. Darüber hinaus belegen genetische Analysen, dass die Schilddrüsenhormon-Signalwege bei einem großen Teil der Prostatakrebs-Patienten durch Mutationen verändert sind.
Mutationen in 79 Genen
In ihrer Arbeit erwähnen die Autoren, dass Mutationen in 79 Genen innerhalb des Schilddrüsenhormon-Signalwegs identifiziert werden konnten. Rund 74 Prozent der Patienten (76 von 102 Fällen) wiesen in diesen Genen Einzelnukleotidvarianten (SNVs), also Ergbutveränderungen bei denen nur ein Nukleotid ersetzt wird, auf. Darüber hinaus gehört die Synthese von Schilddrüsenhormonen zu den am stärksten betroffenen Signalwegen bei Prostatakrebs. Den Studienautoren zufolge ein weiteres starkes Indiz für die Bedeutung der Schilddrüsenhormon‑Signalübertragung in der Pathophysiologie des Prostatakarzinoms.
Neuer Angriffspunkt identifiziert
Prostatakrebs ist in Österreich die häufigste Krebserkrankung bei Männern. Die Erkrankung wird im frühen Stadium meist durch Hormonentzugstherapien behandelt, die den Einfluss des Testosterons reduzieren. Allerdings entwickeln die meisten Patienten eine Resistenz gegen diese Therapien. In dieser Phase sind wirksame Behandlungsmöglichkeiten bislang begrenzt. Mit den aktuellen Ergebnissen wurde ein bisher unbekannter Mechanismus identifiziert, der neue Perspektiven eröffnet: „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass TRβ nicht nur ein Treiber für das Tumorwachstum ist, sondern auch als möglicher Angriffspunkt für neue Medikamente dienen könnte“, sagt Studienleiter Lukas Kenner. Als besonders interessant erwies sich in der Studie die Kombination von NH-3 mit bereits etablierten Hemmstoffen des Androgenrezeptors, die in präklinischen Experimenten eine verstärkte Wirksamkeit zeigte.
Veröffentlicht wurde die neue Studie im Journal Molecular Cancer.
PRESSEMITTEILUNG MEDUNI WIEN