Vierjährige nach Einnahme von Hustensaft verstorben


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Redaktion

Mangelnde Aufklärung bei der Arzneimittelabgabe kann juristische Folgen haben.AdobeStock_74115683/Africa Studio

Jüngst hatte sich der Oberste Gerichtshof (OGH) in seiner Entscheidung vom 22.10.2024 (4 Ob 19/24h) mit dem tragischen Tod eines 4-jährigen Zwillings-Mädchens zu befassen. Das Mädchen verstarb in der Nacht vom 21. auf den 22.01.2015 nach der überdosierten Gabe eines rezept- und apothekenpflichtigen codeinhältigen Hustensaftes im Zusammenwirken mit einer Lungenentzündung und der zusätzlichen Gabe von Dihydrocodein. Dieser Hustensaft war zum damaligen Zeitpunkt löffelweise an Kinder ab drei Jahren zugelassen und zu verabreichen. Ein Gastbeitrag von Rechtsanwältin Dr. Karma Hohl.

In diesem juristischen „Nachspiel“ vor dem Höchstgericht – neuneinhalb Jahre später – wurde die Haftung des Herstellers als auch des (Anscheins-)Endherstellers bejaht. Die Gebrauchsinformation des Arzneimittels hätte in den besonderen Warnhinweisen ausdrücklich und verständlich auf diese mögliche tödliche Wirkung (nicht bloß bei Überdosierung) hinweisen müssen (ua. § 16 Abs. 2 Z 7 AMG). Das Produkt hat daher nicht den berechtigten Sicherheitserwartungen im Sinne des § 5 Abs. 1 PHG entsprochen und gilt als fehlerhaft. Der OGH bestätigte sohin die geltend gemachten Ansprüche der hinterbliebenen Familienangehörigen.

Auch in diesem Fall wurde versucht, die Haftung des Herstellers mit dem Argument zu entkräften, dass bei rezeptpflichtigen Medikamenten ein Aufklärungsgespräch durch Arzt oder Apotheker hinzutritt. Eine Haftung des Arztes oder Apothekers wurde im konkreten Anlassfall verneint. Fraglich sind nun die haftungsrechtlichen bzw. schadenersatzrechtlichen Konsequenzen, wenn der Arzt oder Zahnarzt irrtümlich ein falsches Arzneimittel verordnet und der Apotheker dieses auch abgibt.

Zum Vier-Augen-Prinzip

Im Rahmen der pharmazeutischen Beratung gilt das sog. Vier-Augen-Prinzip: Der Arzt stellt die Diagnose, legt die Therapie fest und stellt das Rezept aus. Der Apotheker kontrolliert dieses auf Vollständigkeit und auf Plausibilität des verordneten Medikaments hinsichtlich Dosierung und Anwendung. Durch diese Zusammenarbeit zwischen medizinischer und pharmazeutischer Expertise wird die Gefahr individueller menschlicher Fehler minimiert.

Die Haftung des Apothekers für Arzneimittel

Als Haftungsadressat eines Arzneimittels kommt grundsätzlich dessen Hersteller in Frage, wobei der Apotheker zumeist Arzneimittel „nur“ weitergegeben hat und sohin keinen Einfluss auf die Zusammensetzung des Arzneimittels hat. Eine Haftung des Apothekers kommt prinzipiell dann zum Tragen, wenn dieser eine sog. „magistrale Zubereitung“ herstellt, dh. ein Arzneimittel, das in einer Apotheke auf Grund einer ärztlichen oder zahnärztlichen Verschreibung für einen bestimmten Patienten oder nach tierärztlicher Verschreibung für ein bestimmtes Tier hergestellt wird (§ 2 Abs. 11a AMG).

So geschehen etwa in der Grundsatzentscheidung des Oberlandesgerichts Kölns vom 07.08.2013 (5 U 92/12): Ein Kinderkardiologe verordnete versehentlich einem Baby eine 8-fach überhöhte Dosierung eines Medikaments an, der Apotheker erkannte den Fehler nicht und gab die Arznei ab. Der Bub verstarb einige Jahre später an einem Hirnschaden. Das OLG Köln bestätigte eine Haftung sowohl des Arztes als auch des Apothekers: Bei Einlösung des Rezeptes hätte der Verordnungsfehler erkannt und die Eltern auf die Fehlmedikation hinweisen müssen. In Österreich gilt etwa, dass bei Unklarheit der Angaben auf dem Kassenrezept bezüglich der Darreichungsform oder Stärke, Arzneien erst nach Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt abgegeben werden dürfen (§ 3 Abs. 3 der Anlage 1 zum Apothekergesamtvertrag).

Zur Haftung für Paraffin für Handbäder für fehlende Warnhinweise als Instruktionsfehler – OGH 19.12.2019, 4 Ob 230/19f

Nachdem ein Arzt Handbäder in Form vom flüssigen Paraffin verordnet hatte und der Patient dieses über die Apotheke bezogen hatte, kam es aufgrund unsachgemäßer Anwendung (Erhitzung direkt im Kochtopf) zu folgeschweren Verletzungen. Anwendungs- oder Warnhinweise waren weder auf der Verpackung noch auf der Beilage enthalten. Nach Feststellung des Gerichts hat der Hersteller von flüssigem Paraffin für Handbäder im Rahmen seiner Instruktionspflicht (§ 5 PHG) darauf hinzuweisen, dass Paraffin nur im Wasserbad erhitzt werden darf. Die Apotheke wurde im Parallelverfahren wegen mangelnder Aufklärung (§ 10 Apothekenbetriebsordnung) der Kundin zu einer Zahlung von über EUR 44.000,- verurteilt. Nach Ansicht des Höchstgerichts, müsse bei Fehlen schriftlicher Hinweise auf der Produktverpackung die Apotheke mündlich über den sachgerechten Gebrauch aufklären.  

Zusammenfassend gilt: Mangelnde oder fehlende Aufklärung bei der Abgabe eines Arzneimittels als auch eine versehentliche Falschabgabe können zu einer Haftung des Apothekers und sohin zu Schadenersatzansprüchen führen. Das „Vier-Augen-Prinzip“ als auch die Bestimmungen des Arzneimittelrechts und des Produkthaftungsrechts bieten einen Sicherheitsschranken, können aber individuelle menschliche Fehler als auch die Fehlerhaftigkeit von Arzneimitteln nicht gänzlich verhindern. Wesentlich ist jedenfalls, seinen rechtlichen Rahmen zu kennen, um die Gesundheit und das Wohlergehen der Patienten nicht zu gefährden und folglich unerwünschte Rechtsfolgen zu vermeiden.  

Zur Autorin:

Dr. Karma Hohl ist Rechtsanwältin in Wien. Sie verfügt über mehr als 10 Jahre Erfahrung in der Rechtsabteilung der Österreichischen Apothekerkammer sowie diversen renommierten Wirtschaftskanzleien.
Zu ihren Schwerpunkten zählen Liegenschafts- und Immobilienrecht (v.a. Bauträgervertragsrecht) und Unternehmens- und Gesellschaftsrecht.

Insbesondere ist sie auf Apotheken- und Medizinrecht spezialisiert. Hier berät Sie in sämtlichen apothekenrechtlichen Fragen rund um den Apothekenbetrieb (u.a. Gesellschaftsrecht, Konzessionsverfahren, Unternehmensverkäufen). Außerdem ist Hohl gefragte Autorin zum Thema „Apotheken- und Medizinrecht“.



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