Dass man in einem Geschäft eine Nummer zieht, anstatt sich in der Schlange anzustellen, ist in Österreich generell unüblich, in einer Apotheke aber geradezu exotisch. Die Vital Apotheke in Wien hat dieses System vor bereits dreizehn Jahren eingeführt. Nach anfänglichem Widerstand der Kunden:innen und einer Einführungsphase, die weit länger als geplant lief, spricht der Inhaber heute von einer Erfolgsgeschichte und einer Win-Win-Situation für Kundschaft und Personal.
Wer die Vital Apotheke in Wien 23 betritt, geht als erstes zum Ticketautomat und holt sich einen Zettel. Dann wird entspannt zwischen den Regalen flaniert, bis über einem der Tara-Plätze die eigene Nummer erscheint. Keine Anstellschlange, keine Diskussionen, wer als nächstes drankommt, kein Druck für das Personal, ihre Kund:innen möglichst schnell „abzufertigen“. „Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat sich das Ticketsystem ab der ersten Minute als Vorteil erwiesen“, berichtet Mag. Marcel Mathà, Konzessionär der Vital Apotheke. Bei der Kundschaft mussten der Apotheker und sein Team allerdings Überzeugungsarbeit leisten und Durchhaltevermögen beweisen. „Ich hatte anfangs einen Studenten angestellt, der nur da war, um das Ticketsystem zu erklären. Damals dachte ich, nach drei bis vier Monaten würde das Ding laufen, aber so wirklich tat es das erst nach einem dreiviertel Jahr.“
Entspanntes Warten – entspanntes Arbeiten
Eine lange Zeit, in der der Apotheker in seiner Haltung auf die Probe gestellt wurde: „Nach sechs Monaten kamen mir schon Zweifel. Wir hatten Kunden, die gedroht haben, dass sie in eine andere Apotheke gehen, wenn wir das System nicht umstellen. Heute ist es umgekehrt“ lacht Mathà. „Viele Kundinnen und Kunden kommen extra zu uns, weil es hier das Ticketsystem gibt.“ Die Idee dazu kam dem Vordenker im Urlaub. „In den skandinavischen Ländern gibt es kaum einen Laden, der kein Ticketsystem beim Anstellen hat.“ Ein glücklicher Umstand wollte es, dass der Architekt der Apotheke aus Schweden stammte und daher mit dem Anliegen seines Auftraggebers vertraut war.
Seit 2012 zieht man nun in der Vital-Apotheke eine Nummer und der Apotheker spricht von einer „Erfolgsgeschichte“. Seit dem Umbau 2014 verfügt die Apotheke über sechs Taraplätze und selbst zu den Stoßzeiten gibt es in der Offizin keine Warteschlange oder Querelen unter den Kund:innen, weil irgendwer irgendwen beim Anstellen ausgetrickst hätte. „Ein „ich bin der Nächste“ gibt es seit 13 Jahren nicht mehr“, erzählt Mathà. „Das Beratungsgespräch verläuft jetzt für alle viel entspannter. Früher hat die Warteschlange bestimmt, wie lange das Gespräch dauert.“
Nicht für jede Apotheke sinnvoll
Der Inhaber ist mit seiner Entscheidung heute glücklich und hat bereits einige Kolleg:innen beraten, die das System ebenfalls installieren wollten. Ein paar haben es nach einiger Zeit wieder abgebaut. „Es ist sicher nicht für jede Apotheke geeignet“, sieht Mathá Grenzen, „Man sollte schon eine große Offizin und mindestens drei Meter Platz vor den Taraplätzen haben.“ Sinnvoll wäre die Investition, wenn sich regelmäßig sieben bis fünfzehn Kunden gleichzeitig in der Apotheke aufhalten. „Also wenn der Überblick nicht mehr gewährt ist“, weiß der Experte. Dementsprechend groß sollte auch die Freiwahl sein, um zum Flanieren, Stöbern und im besten Falle auch Kaufen zu animieren. Außerdem müssen genügend Sitzmöglichkeiten vorhanden sein, um gehbehinderten Personen die Wartezeit zu vereinfachen. Gerade diese Kundengruppe profitierte sehr von dem System, meint der Apotheker. Er sieht das Ticketsystem auch eher in Apotheken mit hohem Stammkundenanteil, weil erfahrungsgemäß bei den ersten Besuchen Unterstützung bei der Bedienung notwendig ist. Und ein nicht unwesentlicher Faktor, den Mathà aufzeigt: „Es muss das Team dahinterstehen.“