Fencheltee galt lange Zeit als sanftes Hausmittel – besonders bei Säuglingen und Kleinkindern. Doch der enthaltene Pflanzenstoff Estragol steht seit Jahren im Verdacht, genotoxisch und potenziell krebserregend zu sein. Nachdem deutsche Behörden eine Neubewertung durch die Europäische Kommission angestoßen hatten, liegt nun eine vorläufige Risikoeinschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) vor: Eine sichere Aufnahmemenge für Estragol könne auf Basis der aktuellen Datenlage nicht festgelegt werden. Im Rahmen einer öffentlichen Kommentierungsphase lädt die EFSA nun Forscher:innen und die interessierte Öffentlichkeit ein, Rückmeldungen und wissenschaftliche Daten einzureichen.
Fenchel-Zubereitungen werden seit langem eingesetzt. Dabei kommen die Früchte des Süßfenchels (Foeniculum vulgare Miller subsp. vulgare var. dulce) oder des Bitterfenchels (Foeniculum vulgare Miller subsp. vulgarevar. vulgare) zur Anwendung. Aufgrund ihrer krampf- und schleimlösenden Wirkung wurden Fencheltees insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern genutzt. Sie dienten zur symptomatischen Behandlung von Magen-Darm-Beschwerden wie Blähungen und Bauchkrämpfen oder sollten das Abhusten erleichtern.
Bereits 2005 befasste sich der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (HMPC – Committee on Herbal Medicinal Products) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) mit Bedenken hinsichtlich eines potenziell genotoxischen und kanzerogenen Potenzials des im Fenchel enthaltenen Estragols. Bei Estragol handelt es sich um eine Verbindung aus der Gruppe der p-Allylalkoxybenzole. Im Rahmen der Metabolisierung entstehen reaktive Zwischenprodukte, die mit der DNA interagieren können. Da die körpereigenen Reparaturmechanismen in diesem Zusammenhang begrenzt sind, reichern sich diese sogenannten DNA-Addukte an und können letztlich zur Bildung von Hepatomen (Lebertumoren) führen.
Februar 2024: Anpassung Abgrenzungsverordnung
Im Februar 2024 wurde die Apothekerschaft durch ein Schreiben der Apothekerkammer auf diesen Umstand hingewiesen. Es wurde die Empfehlung im Einklang mit dem HMPC ausgesprochen, die Zufuhr von Estragol so niedrig wie möglich zu halten. Darüber hinaus sollten Kinder unter vier Jahren möglichst keinen Fencheltee zu sich nehmen. Bei älteren Kindern sollte die Anwendung auf maximal eine Woche begrenzt sein. Auch Schwangeren und Stillenden wird von der Einnahme abgeraten. Konkrete Grenzwerte für die Aufnahme von Estragol lagen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Apotheker:innen wurden dazu angehalten, ihre Kund:innen über das mögliche Risiko aufzuklären. Auch eine Anpassung des Texts der zugehörigen Abgrenzungsverordnung wurde angeregt.
Besonders relevant ist die Verwendung von Bitterem Fenchel als Bestandteil offizineller Rezepturen im Österreichischen Arzneibuch (ÖAB). Er findet sich unter anderem in Teemischungen wie Abführender Tee, Krampflösender Hustentee, Schleimlösender Hustentee oder Windtreibender Tee. Darüber hinaus ist Bitterfenchelöl Bestandteil klassischer Rezepturen wie Windwasser, Rotes Windwasser und Fenchelwasser.
Sicherheitsbewertung durch EFSA
Ende 2022 wurde die EFSA offiziell mit einer neuen Risikobewertung von Süß- und Bitterfenchelsamen beauftragt, nachdem die deutschen Behörden erneut Bedenken hinsichtlich der Anwendung bei Kindern und Säuglingen geäußert hatten.
Diese wissenschaftliche Bewertung wurde nun abgeschlossen und kommt zu folgendem vorläufigen Ergebnis:
- Derzeit liegen keine Hinweise auf eine nicht-lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung bei der Bildung genotoxischer Metabolite und DNA-Addukte im menschlichen Organismus vor. Das bedeutet: Es lässt sich keine sichere Aufnahmemenge für Estragol festlegen.
- Estragol gelangt auch in die Muttermilch. In Tierversuchen mit Mäusen konnten hohen Dosen mit krebserregenden Effekten bei den Nachkommen in Verbindung gebracht werden.
- Die EFSA kommt daher zu dem Schluss, dass der Verzehr von Fenchelsaat-Zubereitungen für besonders vulnerable Gruppen – darunter Säuglinge, Kleinkinder, Föten (über die mütterliche Ernährung) und gestillte Säuglinge – mit Gesundheitsrisiken verbunden sein kann.
- Zubereitungen, aus denen Estragol während des Herstellungsprozesses entfernt wurde oder nicht nachweisbar ist, gelten nicht als gesundheitsgefährdend.
Call for Comments and Data
Aufgrund der noch dünnen Datenlage wurde eine öffentliche Kommentierungsphase gestartet. Die EFSA ruft Forscher:innen, Fachkreise, Interessengruppen und die Öffentlichkeit dazu auf, bis zum 17. September 2025 Kommentare und ergänzende Daten zu dieser vorläufigen Risikobewertung einzureichen. Ziel ist es, auf Basis einer fundierten Datenlage evidenzbasierte Empfehlungen für den Umgang mit Fenchel-Zubereitungen zu entwickeln – insbesondere im Hinblick auf die Anwendung bei besonders empfindlichen Bevölkerungsgruppen.