Gesundheitsbarometer 2025: Frauen fühlen sich schlechter behandelt


Redaktion

Frauen fühlen sich im Gesundheitssystem benachteiligt. Der Gender Health Gap ist aber nur wenigen bekannt.AdobeStock_647861824/Framestock

Die heimische Gesundheitsversorgung zählt zu den besten der Welt – und auch die Österreicher:innen stellen ihr ein gutes Zeugnis aus. Doch ein genauerer Blick auf die Ergebnisse des aktuellen Allianz Gesundheitsbarometers, durchgeführt von Marketagent, offenbart Schwächen: Lange Wartezeiten auf Termine und zu wenig Zeit im Arzttermin werden bemängelt. Außerdem erleben Frauen die medizinische Versorgung deutlich kritischer als Männer und äußern hier mehr Unzufriedenheit. Unsensibles Verhalten und die Verharmlosung von Beschwerden sind für sie bekannte Themen. So zeigt sich auch mehr als die Hälfte der befragten Frauen stark besorgt über den sogenannten Gender Health Gap – die Geschlechterungleichheit in medizinischer Forschung, Diagnostik und Behandlung.

„Das Allianz Gesundheitsbarometer macht deutlich: Frauen in Österreich erleben tagtäglich, dass ihre Beschwerden nicht ausreichend ernst genommen werden oder geschlechtsspezifische Unterschiede in der medizinischen Versorgung zu wenig berücksichtigt werden“, betont Jovana Nović, COO der Allianz Österreich . „Wenn Frauen nicht ernst genommen und dadurch Risiken übersehen werden, ist das nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein gesellschaftliches Problem. Mit unserer Studie möchten wir hier Aufmerksamkeit und Bewusstsein schaffen.“

Gender Gap wenig bekannt

Doch was mittlerweile wissenschaftlich belegt ist, ist für die Mehrheit der Österreicher:innen noch immer Neuland: der Gender Health Gap und die Gendermedizin. Mehr als drei Viertel der Bevölkerung haben von diesen Begriffen noch nie gehört. Frauen und Jüngere sind etwas besser informiert: 28 Prozent der Frauen (vs. 17 Prozent der Männer) und 34 Prozent der 14- bis 19-Jährigen sowie 29 Prozent der 20- bis 29-Jährigen wissen, worum es dabei geht.

Entsprechend groß ist das Erstaunen über konkrete geschlechtsspezifische Unterschiede in der Medizin: Am meisten überraschen die verzögerte Schmerzmittelvergabe bei Frauen (64 Prozent) und die männlich dominierte medizinische Forschung (58 Prozent). Auch Unterschiede bei der Diagnose von Depressionen und Herzinfarkten sorgen bei jeweils rund der Hälfte der Befragten für Verwunderung.

„Medizinische Studien waren lange Zeit vor allem auf männliche Probanden ausgerichtet und sie wurden als Maßstab für die Behandlung aller herangezogen. Vielen ist nicht bewusst, dass diese Einseitigkeit bis heute nachwirkt. Dabei unterscheiden sich Männer und Frauen in Symptomen, Krankheitsverläufen und Therapieansprechen – und das wird in der medizinischen Praxis noch immer zu wenig berücksichtigt“, erklärt Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gendermedizin an der MedUni Wien . „Die Folge sind Fehldiagnosen, unzureichende Therapien und ein struktureller Gender Health Gap. Gendermedizin ist deshalb kein Spezialthema, sondern Voraussetzung für eine gerechtere und bessere Versorgung aller Menschen.“

Frauen sehen Gesundheitsversorgung kritischer

Es gibt aber auch gute Nachrichten: Die Österreicher:innen fühlen sich gesund. 6 von 10 Personen schätzen ihren eigenen Gesundheitszustand als ausgezeichnet bis gut ein. Zudem haben sie großes Vertrauen in ihre behandelnden Ärzt:innen (77 Prozent), in Ärzt:innen allgemein (66 Prozent) sowie in die medizinische Forschung (65 Prozent ).

Auch die Qualität der heimischen Gesundheitsversorgung wird vom Großteil (68 Prozent) der Österreicher:innen positiv bewertet. Aber: Frauen teilen diese Einschätzung deutlich seltener als Männer. Während 73 Prozent der männlichen Studienteilnehmer hier Bestnoten vergeben, sind es nur 64 Prozent der weiblichen. Auch bei den Altersgruppen zeigen sich Differenzen: Die 14- bis 19-Jährigen (78 Prozent) sind am meisten von der Qualität der medizinischen Versorgung überzeugt, die 60- bis 69- Jährigen (62 Prozent) am wenigsten. Am besten beurteilen die Menschen die fachliche Kompetenz der Ärzt:innen (77 Prozent), gefolgt von der Verständlichkeit ärztlicher Erklärungen (59 Prozent). Etwas abgeschlagen liegt die soziale Kompetenz (54 Prozent). Auch hier wird deutlich, dass gerade Frauen das Einfühlungsvermögen von Ärzt:innen als weniger gut empfinden als Männer (47 Prozent vs. 61 Prozent).

Alexandra Kautzky-Willer dazu: „Frauen sehen die Gesundheitsversorgung kritischer – und das überrascht kaum. Ihre Benachteiligung hat systemische Ursachen. Bis heute sind Frauen in klinischen Studien unterrepräsentiert. Die daraus resultierenden Datenlücken führen zu späteren Diagnosen und weniger wirksamen Behandlungen – mit spürbaren Folgen für Gesundheit und Vertrauen.“

Männer fühlen sich besser behandelt

7 von 10 Frauen waren schon einmal mit einer Behandlung unzufrieden bzw. haben sich über eine:n Ärzt:in geärgert, bei den Männern etwas mehr als jeder zweite. Häufig kritisieren Patientinnen unsensibles Verhalten (52 Prozent vs. 40 Prozent bei Männern) und die Verharmlosung ihrer Beschwerden (47 Prozent vs. 40 Prozent bei Männern). Fast jede sechste Frau hatte schon einmal den Eindruck, dass ihr Geschlecht negativen Einfluss auf die medizinische Behandlung hatte (Männer: 10 Prozent). Besonders die jüngere Generation hat hier schlechte Erfahrungen gemacht: So können 27 Prozent der 14- bis 19-Jährigen und 24 Prozent der 20- bis 29-Jährigen davon berichten (60- bis 69-Jährige: 5 Prozent; 70- bis 75-Jährige: 8 Prozent).

Kautzky-Willer erklärt: „Die Studienergebnisse zeigen deutlich: Viele Patientinnen erleben die Ungleichbehandlung durch den Gender Health Gap ganz konkret – etwa in Form von Verharmlosung, fehlender Empathie oder verspäteter Diagnose.“

Größtes Ärgernis: Lange Wartezeiten

Einer der größten Kritikpunkte an der österreichischen Gesundheitsversorgung betrifft den Faktor Zeit: Rund die Hälfte der Menschen (51 Prozent) bemängelt lange Wartezeiten auf Termine, ein Viertel (25 Prozent), dass sich Ärzt:innen zu wenig Zeit für ihre Patient:innen nehmen. Das spiegelt sich auch in der großen Nachfrage nach privaten Gesundheitsleistungen wider: 63 Prozent der Österreicher:innen konsultieren mittlerweile Wahlärzt:innen (Frauen: 67 Prozent vs. Männer: 59 Prozent) – hauptsächlich aus oben genannten Gründen.

„Gesundheit ist unser kostbarstes Gut – es ist daher mehr als verständlich, dass den Menschen rasche Termine, eine gründliche Untersuchung und ein echtes Eingehen auf individuelle Bedürfnisse wichtig sind. Wahlärzt:innen können hier mehr Flexibilität und Zeit bieten und sind eine sinnvolle Ergänzung zur Kassenmedizin“, so Jovana Nović .

Rund zwei Drittel der Österreicher:innen halten es für wichtig, dass die Gesundheitsversorgung stärker auf das Geschlecht abgestimmt ist – Frauen mit 74 Prozent, Männer mit 68 Prozent. Als wichtigste Maßnahmen nennen die Befragten die gleichberechtigte Berücksichtigung von Frauen und Männern in medizinischen Studien (59 Prozent), die Sensibilisierung von Ärzt:innen (50 Prozent) sowie mehr geschlechtsspezifische Forschung in der Medizin (50 Prozent).

Über die Studie Das Allianz Gesundheitsbarometer 2025 wurde von Marketagent mittels Computer Assisted Web Interviews (CAWI) im Zeitraum vom 10. bis 17. März 2025 durchgeführt und ist mit einer Stichprobengröße von 1.000 Personen repräsentativ für die österreichische Bevölkerung im Alter von 14 bis 75 Jahren, quotiert nach Alter, Geschlecht, Region und Ausbildung. Die Umfrage umfasste insgesamt 31 Fragen, die verschiedene Aspekte der medizinischen Versorgung, persönliche Erfahrungen und Einstellungen zur Gendermedizin abdeckten. Alle Ergebnisse wurden gerundet.



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